2.2 Der Einsatz von Technik

Elektronische und elektroakustische Musik fordern den Einsatz von Technik per se. Dies führt unter anderem auch zu einem verändertem Materialbegriff. Die Instrumentalmusik wird vor allem in der Notenschrift konserviert, dagegen benötigt der Einsatz von Elektronik elektronische Datenspeicher. Ein Computer kann heutzutage sogar sowohl zum Schreiben einer Partitur, zum Speichern von Zuspielung als auch gleichzeitig zum Abspielen, Steuern und Verändern von Klängen genutzt werden. Bei der Fülle an technischen Möglichkeiten heutzutage und dem einfachen Zugang besteht die Gefahr, sich von diesen Möglichkeiten zu sehr leiten bzw. verführen zu lassen. Daraus resultieren Werke, die man mit virtuosen Etüden vergangener Jahrhunderte vergleichen kann. Immer wieder beschäftigten sich Komponisten mit den technischen Möglichkeiten von Instrumenten, trugen zu wesentlichen Verbesserungen bei und schrieben Werke, die buchstäblich sämtliche Möglichkeiten aus dem Instrument herausholen sollten. Ähnlich kann es sich beim Einsatz von Elektronik verhalten, denn nur weil man als Komponist 50 Lautsprecher zur Verfügung hat und jeden einzelnen dieser Lautsprecher diskret ansteuern kann, muss diese Möglichkeit nicht zwingend bis aufs Äußerste ausgereizt werden. Auf der anderen Seite sind in den verwendeten Technologien, ähnlich wie in den verwendeten Instrumenten ästhetische Formgesetze eingeschrieben, die als Teil der Kompositionsebene zu betrachten sind.(24)

Bei der Aufführung der Musik wurden und werden immer noch größtenteils die Konventionen instrumentaler Musik übernommen. Lautsprecher werden zwar beispielsweise kreisförmig am Rand des Zuschauerraumes angeordnet, eventuell sind auch die Spielpositionen von Musikern an verschiedenen Stationen im Raum verteilt, die Bestuhlung aber ist traditionell frontal nach Vorne ausgerichtet. Auch bei Räumen, die eigentlich speziell für die Wiedergabe elektronischer bzw. elektroakustischer konzipiert sind, ergeben sich Schwierigkeiten in Konzertsituationen. So ergibt sich bei einem Klangdom, wie er zum Beispiel im Kubus des ZKM in Karlsruhe verwirklicht wurde, oftmals das Problem, dass der „Sweetspot“, in dem man den Klang so wahrnimmt, wie er tatsächlich konzeptioniert wurde, sehr klein ist. Man würde theoretisch sehr große Räume benötigen, von denen dann nur ein Bruchteil der tatsächlich für das Publikum zur Verfügung stehenden Fläche auch für dieses genutzt werden dürfte.

ZKM-Kubus
ZKM – Kubus (25)

Alternative Beschallungskonzepte, wie die Akusmatik, setzen dafür den Fokus weniger auf einen publikumsumfassenden Raumklang, sondern arbeiten eher mit spezifischen Konfigurationen verschiedener Lautsprechermodelle, die dann größtenteils orchesterartig auf der Bühne platziert sind. François Bayle, einer der Hauptbegründer der akusmatischen Musik verwirklichte mit dem Acousmonium, das über 80 verschiedene Lautsprecher umfasst, den Prototypen der Lautsprecherorchester.
Eine weitere Technologie stellt die Wellenfeldsynthese (WFS) dar, die versucht einigen der oben genannten Probleme aus dem Weg zu gehen. Im Gegensatz zu allen anderen Lautsprechersystemen ist der Ausgangspunkt der Überlegungen zur räumlichen Verteilung des Klanges nicht geprägt von der Anordnung der Lautsprecher, sondern ein virtueller Punkt, der den Ort der Klangquelle im Raum repräsentieren soll. Dabei ist im Idealfall die akustische Lokalisation nicht mehr von der Hörerposition abhängig. Die Wellenfeld-Anlage umschließt den Zuschauerraum komplett und muss auf jeden Ort individuell angepasst werden. Das System der Hochschule für Musik und Theater Hamburg umfasst 280 Lautsprecher, von denen jeweils acht Audiokanäle zu einem Wiedergabemodul zusammengefasst sind. Ein komplexes Computersystem steuert jeden einzelnen Lautsprecher genau in dem Moment an, in dem eine virtuelle Wellenfront seinen Raumpunkt durchlaufen würde. Das größte System dieser Art ist derzeit an der TU Berlin im Wellenfeld Hörsaal installiert und umfasst 2700 Lautsprecher, die von 16 Rechnern angesteuert werden.

WFS-HfMT Hamburg WFS-TU Berlin
WFS-Anlage Hamburg | Berlin (26)

Beim Einsatz von akustischen Instrumenten, die bearbeitet oder unbearbeitet verstärkt werden, ergeben sich hier allerdings schnell neue Schwierigkeiten, denn die Räume sind aufgrund der Vielzahl an Lautsprechern entsprechend Feedback empfindlich.
Während bei Tonbandstücken visuelle Reize, abgesehen von einem kaum wahrzunehmenden Klangregisseur, meist komplett fehlen, verhält sich die Situation bei Werken mit Live-Elektronik wieder anders. Dabei liegt der visuelle Fokus meist auf den ausführenden Instrumentalisten. Derjenige, der den Klang bearbeitet, spatialisiert, etc. sitzt meist zwischen oder hinter den Zuhörern. Das kann zur Folge haben, dass die Elektronik weniger als eigenständiger Part wahrgenommen wird, sondern oftmals als Effektmaschinerie. Dabei bilden in der Realität das akustische Instrument und die jeweilige elektronische Bearbeitung zusammen ein neues Instrument. Im Spezialfall der Laptopmusik gibt es zwar meist einen Performer auf der Bühne, allerdings bleiben dessen Handlungen meist so abstrakt, dass eine wirkliche Verbindung zwischen Gehörtem und Dargebotenem nicht auszumachen ist.
Abgesehen von Konzeption und Komposition ist der wichtigste Baustein der elektroakustischen und elektronischen Musik die Technik selbst. Jeder Lautsprecher, jedes Mikrophon hat individuelle Klangcharakteristiken, das Gleiche gilt natürlich auch für akustische Instrumente und allgemein für den Raum der Aufführung. Oft ergeben sich bereits aus der Tatsache, dass Lautsprecher und Raum im Studio (oder an einem anderen Ort in dem das Werk entsteht) sich grundsätzlich vom Equipment am Aufführungsort unterscheiden, große Unterschiede in der Wirkung des Werkes. Der Raum ist in der Regel wesentlich kleiner, die Wiedergabelautstärke leiser, der Bassanteil anders. Zusätzlich sind am Aufführungsort die Hörpositionen des Publikums selten im „Sweet Spot“, je nach Position sind wichtige Signalanteile bereits stark abgeschwächt und Direkt- und Diffusschall vermischen sich sehr unterschiedlich. Vergleicht man diese Situation mit der Instrumentalmusik, wo in der Regel jeder Musiker immer die gleiche Auswahl an Instrumenten spielt, würde dies bedeuten, immer die gleichen Lautsprechermodelle, Mikrophone, Wandler und Mischpulte zu nutzen. Verbindet man akustische Instrumente mit Live-Elektronik verlängert sich die Kette an spezifischen, einmaligen Kombinationen dadurch um ein Vielfaches. Instrumentalist, Instrument, Mikrophonierung, Datenübertragung, Signalbearbeitung, Klangregisseur, Mischpult, Verstärker, Lautsprecher und Raum stehen in einem komplexen Verhältnis zueinander. Durch den Einsatz von Elektronik ist man nicht zuletzt in der Lage, drastisch in die Dynamik und Lautstärkeverhältnisse einzugreifen. Kaum Wahrnehmbares kann so in den akustischen Vordergrund rücken. In jedem Fall haben die verwendeten Technologien einen großen Einfluss auf die Ästhetik des jeweiligen Werks und Eingriffe durch einen Tontechniker oder Klangregisseur vor Ort sind nicht zu unterschätzen.
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(24) Rolf Großmann: Die multimediale Herausforderung, in: Neue Zeitschrift für Musik, Nr. 4/2005, Mainz 2005, S.24;
(25) Foto: http://klassikmagazine.com/wordpress/wp-content/uploads/2012/12/Kubus_Innen.jpg
(26) Fotos: Florian Vitez und http://www.fouraudio.com/files/wfs_tu_finished_960_1.jpg