3.3 A-IV-9

A-IV-9 ist das Abschlussprojekt meines Masterstudiums. Es besteht aus fünf Teilen, ist aber als ein gesamtes Werk zu sehen. Inhaltlicher Ausgangspunkt und Namensgeber für diese intermediale Klanginszenierung sind eine Reihe von Dokumenten über den Bau eines NS-Bunkers auf dem Grundstück des Budge-Palais (Altbau der Hochschule für Musik und Theater) in Hamburg. Der 1940 erbaute Bunker ist eng verbunden mit der Geschichte des Budge-Palais. Die Villa wurde vom jüdischen Geschäftsmann Henry Budge und seiner Frau Emma 1900 gekauft. Auf Veranlassung von Karl Kaufmann, der als NSDAP-Gauleiter und Reichsstatthalter die Politik der regionalen NS-Regierung von 1933 bis 3. Mai 1945 maßgeblich steuerte, erwarb die Stadt Hamburg das Anwesen deutlich unter Wert. Während die Nachkommen, ihres Besitzes beraubt, ins Ausland emigrierten, erweiterte Kaufmann Schritt für Schritt seine Machtfülle und sicherte sich über das Kriegsende hinaus ein Leben als gutsituierter Bürger der Stadt Hamburg.
Die Geschichte Kaufmanns steht stellvertretend für viele andere Fälle, in denen NS-Funktionäre für ihre grausamen Verbrechen kaum oder gar nicht zur Rechenschaft gezogen worden sind und unbehelligt ihr Leben in der Bundesrepublik weitergeführt haben. A-IV-9 ist mein persönlicher Versuch einer Auseinandersetzung mit dieser Thematik.

Fotos von der Generalprobe | Bühnenaufbau (44)

Das Werk ist ein multimedial-inszeniertes Musiktheater für Schlagzeug, Bass, Sprecherin, Violoncello, Bassklarinette, Klavier, Trompete, Horn, Posaune, Bassposaune, Live- Elektronik, Zuspielung, Live-Video und Videozuspielung. Die Uraufführung fand am 20. Juli 2013 im Forum der HfMT Hamburg statt.
In diesem Stück habe ich eine Vielzahl von akustischen und künstlichen Schallquellen im gesamten Raum verteilt. Die Zuschauer-Situation ist herkömmlich ausgerichtet; das Publikum sitzt auf der einen Seite des Saals im Zuschauerraum und blickt frontal auf die Bühne.
Um eine klangliche Einheit aus akustischen Schallquellen und der Live-Elektronik zu schaffen, sind alle Instrumente soweit verstärkt, dass die Verstärkung aus den Lautsprechern in jedem Fall einen größeren Pegel hat, als die akustische Lautstärke der Instrumente. Da der gesamte Bühnenraum mit Vorbühne und Hauptbühne bespielt wird und insgesamt eine Tiefe von rund 18 Metern hat, sind, um die vorhandene Bühnentiefe auch klanglich abzubilden, im Bühnenraum dreimal je zwei Lautsprecher von hinten nach vorne gestaffelt aufgestellt. Mit weiteren Lautsprechern, die im Zuschauerraum rund um das Publikum verteilt sind, wird das Publikum klanglich umhüllt und in gewisser Weise physisch in das Geschehen auf der Bühne integriert.
Neben zwei großen Projektionen sind auf der Vorbühne 15 Fernseher installiert, deren integrierte Lautsprecher zum Beispiel zur Verstärkung der Sprecherin zum Einsatz kommen. Die Schauspielerin zitiert Ausschnitte historischer Texte, die auf diese Weise automatisch einen dokumentarischen Charakter bekommen und es entstehen unter anderem Assoziationen mit Nachrichtensendungen. Die Fernseher zeigen außerdem Livebilder der Musiker im Orchestergraben (Schlagzeug und Bass). Auf den Graben habe ich einen mit Gase bespannten Aufbau gesetzt, der den NS-Bunker darstellt und die Musiker darunter einschließt.
In einer Szene agiert ein Blechbläserquartett, dass als einziges nicht verstärkt wird. Hier habe ich verschiedene klangliche Ebenen geschaffen, indem einzelne Takte bereits vorab aufgenommen und dann während der Vorstellung an den jeweiligen Stellen wiedergegeben werden.
In diesem Stück habe ich auf sehr vielfältige Art und Weise mit der Projektion von Klang im Raum experimentiert, oftmals verbunden mit verschiedenen visuellen Projektionen von Räumen im Raum, um damit eine homogene Einheit von akustischen und künstlichen Schallquellen zu schaffen. Dabei sind nach dem Cicilliani-Modell die verschiedenen zentripetalen und zentrifugalen Parameter immer wieder unterschiedlich gewichtet und befinden sich in einem stetigen Fluss, der ebenso durch Veränderungen im Bühnenbild und Lichtdesign mitgeprägt wird.

Partitur

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(44) Fotos und Grafiken: Florian Vitez